FRUCHTBARKEIT

2012

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Philosophy

Die griechischen Göttinnen “Demeter” und “Baubo”

Die griechische Göttin des Getreides und des Ackerbaus Demeter leidet in tiefer Trauer an der Entführung ihrer geliebten Tochter Persephone in die Unterwelt und damit in den Tod. Demeter kann ihr Glück und ihren Frieden auf Erden nicht mehr finden. Sie irrt aufgelöst mit wirrem Haar durch das Land, das im selben Maße abstirbt, wie sie. Die Menschen schreien um Hilfe, ihre Ernten bleiben aus, die Nahrungsvorräte werden knapp. Nicht einmal den Göttern gelingt es, die Göttin Demeter aus ihrer fatalen Depression herauszureißen. Demeter bleibt untröstlich und trostlos. Baubo, ursprünglich eine anatolische Göttin, beschließt Demeter in ihrem Kummer aufzusuchen. Die Figur der Baubo wurde in die griechische Mythologie übernommen. Wie häufig in solchen Fällen, wird der neue Mythos der alten Figur nicht gerecht. So wird sie in den unterschiedlichen Quellen als Göttin und als Dämon bezeichnet, mal als alt und hässlich, mal als fruchtbare, gebärende Frau, mal als Dienerin und Königin. Oft wird sie auf einem Schwein reitend dargestellt.
Vielleicht kann sie gerade durch ihre dialektische Darstellung als menschlich empfunden werden und vielleicht vermag sie auch deshalb die olympische Ordnung zu sprengen – dies ist das Einzige, was allen Schilderungen über Baubo gemein ist. Auch Baubo wird zunächst von Demeter abgewiesen, doch lässt sich diese nicht davon beeindrucken. Baubo beginnt den Prozess der Heilung von Demeter auf der physischen, psychischen und kosmischen Ebene, den sie durch einen ekstatischen Tanz einleitete. Auf dessen Höhepunkt, reißt sie sich die Kleidung vom Leib. Bei dem Anblick der Vulva der Baubo beginnt Demeter zu lachen und mit ihr alle anderen Gottheiten.Demeter kehrt zum Leben zurück, findet wieder ihr Glück und ihren innerlichen Frieden. Ihr Bann ist gebrochen. Getröstet kehrt die Göttin an ihren Platz auf der Erde zu ihrer Fruchtbarkeit zurück und kümmert sich wieder um die Pflanzen und Tiere.

Kraft und Energie der Vulva

Seitdem ich diese Geschichte gelesen habe, stelle mir immer wieder die Fragen: Was hat Demeter zum Lachen gebracht? War es der Körper der Baubo, ihre Vulva? War es ihre Handlung, das Zeigen ihres Geschlechtes? Was war es genau, was Demeter sah? Demeter wird sich wahrscheinlich beim Anblick von Baubos Vulva ihrer Geschlechtlichkeit, ihrer Sexualität, ihrer Fruchtbarkeit wieder bewusst. Mich faszinierte an der Geschichte, dass das Zeigen des Geschlechtsorgans solch eine Kraft besitzen kann. Die Baubo wird in dem Mythos als keine schöne, attraktive Frau beschrieben. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ihre Vulva wohl aussehen würde und merkte gleich, dass es um das Aussehen hier gar nicht geht. Es ist total belanglos, ob das Geschlecht der Baubo, das ich mir gerade ausmalen wollte, nun den gerade aktuellen gesellschaftlichen ästhetischen Vorstellungen gerecht wird oder nicht, denn das sind vergängliche Normen. Es waren sogar mal Schamhaartoupets absoluter Modetrend im Mittelalter. In der Geschichte geht es um eine weitaus bedeutendere Ästhetik. Baubo zeigt ihre Vulva, vielleicht erinnert sie damit Demeter an die natürliche Funktion des Organs. Es handelt sich immerhin um unser Fortpflanzungsorgan, das im Zentrum des weiblichen Körpers ruht. Wir haben so viel Kraft und Energie in unseren Sexualorganen, dass wir mit ihnen neues Leben schaffen können, vielleicht sogar, wie in dem Fall der Demeter, auch bestehendes Leben retten können. Mal abgesehen davon, ob wir nun unsere Sexualorgane schön finden oder nicht, wenn wir uns ihrer Funktion bewusst werden, ihrer tieferen Bedeutung – denn, ohne sie gäbe es uns nicht mehr, – dann merken wir, wie frei und selbstbestimmt sie uns machen, wie viel Kraft sie uns schenken. In diesem Mythos kann die Vulva der Baubo Demeter von ihrem Leid befreien. Baubo und Demeter haben sich in dem Moment des Lachens mit ihrem Geschlecht verbündet. Die Vulva der Baubo dient als Kommunikationsmittel, sie nutzt diesen sonst verhüllten Teil ihres Körpers, um eine lebensnotwendige Geste auszudrücken.
Sexualität wird hier als das Authentische, als Wahrheit des Körpers, als Natur interpretiert. Die Sexualität ist in diesem Moment vollkommen frei von tradierten gesellschaftlichen Vorstellungen. Sie ist reine Natur, sie ist das Fruchtbare in uns. Mir fiel auf, dass ich mich bis zu dem derzeitigen Zeitpunkt viel weniger mit den natürlichen Aspekten von Sexualität beschäftigt habe, als mit denen, die mich alltäglich umgeben. Heutzutage umgibt uns so viel Sex. Sexualisierte Werbungen, sexualisierte Musik, sexualisierte Filme und Videos, sexualisiertes Spielzeug, sexualisierte Fitness, sexy Cooking, sexy Berlin. Sexualität ist kommerzialisiert. Wir werden in Deutschland sexuell nahezu gar nicht mehr eingeschränkt, beinahe jede Sexpraktik wird heute gesellschaftlich akzeptiert, diskutiert, präsentiert, gefilmt, getwittert, etc. Wir dürfen unsere Sexualität frei wählen und frei praktizieren und diese Freiheit muss unbedingt aufrecht erhalten bleiben! Jedoch unterliegen fast nahezu alle Bilder, mit denen wir Sexualität assoziieren, gesellschaftlichen Einflüssen. Unsere Bilder von Sexualität sind abhängig von unseren bisherigen subjektiven Erfahrungen, von dem, was uns und unser Denken geprägt hat. Unser Denken und Wissen über Sexualität ist meist kulturell codiert, historisch geprägt, unterliegt sozialen Einflüssen und ist durch Eingriffe von außen manipulier- und veränderbar.

Perspektiven auf Sexualität , Geschlechtlichkeit und Fruchtbarkeit

Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, das es eine Fülle von verschiedenen Perspektiven auf Sexualität im Bewusstsein der Menschen gibt. Das medial gerade überwiegend verbreitete Bild von Sexualität und Geschlechtlichkeit hat wenig mit Natur und Natürlichkeit zu tun, sondern ist stark vom Konsumverhalten geprägt. Ich kam zu dem Entschluss, zu dem Thema Sexualität, Geschlechtlichkeit und Fruchtbarkeit künstlerisch zu arbeiten und mich bei meiner Arbeit auf die natürlichen Aspekte von Sexualität zu konzentrieren. Mir ging es in manchen Arbeiten darum zu zeigen, wie sich unsere Sexualität auf unsere alltägliche Stimmung auswirkt. In anderen Arbeiten ging es mir darum darzustellen, wie genüsslich und entspannend Sexualität sein kann.
Ebenso habe ich Sexualität versucht in ihrer Eigenartigkeit darzustellen und versucht auszudrücken, wie frei eine selbstbestimmte Sexualität Menschen machen kann. Ich habe viele der Akteure meiner Bilder in Form von Tiergestalten oder zweigeschlechtlich dargestellt, da ich dies für einen guten Weg hielt, um unsere natürliche Triebhaftigkeit darzustellen. In unserer Triebhaftigkeit gleichen sich Männer und Frauen. Sie ist ein wichtiger Aspekt, der uns mit unseren Mitmenschen und mit allen Lebewesen verbindet.

Schöpferische Kraft unserer Sexualität

Ein ganz wichtiger Teil meiner Arbeit konzentriert sich auf unsere Fruchtbarkeit, auf die schöpferische Kraft unserer Sexualität. Durch das Bepflanzen und Einbinden der Geschlechtsorgane in eine natürliche, fruchtbare Umgebung will ich den Menschen mit seiner Geschlechtlichkeit wieder zurück zu seinem natürlichen Ursprung führen und den Kreislauf von Leben, Zerfall und Neubeginn darstellen. Bei meiner Arbeit fiel mir auf, wie viel Mühe, Liebe und Aufmerksamkeit es bedarf, eine solch umfangreiche Menge an Pflanzen zu pflegen, ihre Fruchtbarkeit und Lebendigkeit aufrecht zu erhalten. Ich glaube mit unserem eigenen Leben verhält es sich ähnlich, wir müssen sehr viel Energie und Kraft aufwenden, um zu überleben. Andererseits wächst alles im eigenen Rhythmus, da lässt sich nichts verlangsamen oder beschleunigen.
Diese dafür notwendigen Kräfte und Energien ziehen wir sicherlich auch aus unseren Trieb uns fortpflanzen zu wollen. Ich glaube, dass wenn wir den Blick auf unseren natürlichen Ursprung, auf unsere Wurzeln und unsere Entstehung lenken, wir sehr viel Kraft aus unserer Geschlechtlichkeit ziehen können. Unsere Geschlechtsorgane und unser bewusster Umgang mit ihnen können unsere Urkräfte wecken.

Menschlichkeit und Empathie

Ein natürlicher Blick auf unser menschliches Bestehen, das gerade auf vielen Flecken dieser Erde von der „unnatürlichen“ Wirtschaftskrise bedroht ist, kann vielleicht dazu führen, dass wir uns erneut darüber bewusst werden, was wir im Leben wollen, welchen Umgang wir uns mit unseren Mitmenschen wünschen und was wir eigentlich überhaupt auf dieser Welt brauchen, um zu leben. In der heutigen Welt herrscht ein starker Materialismus und Kapitalismus. Nicht mehr alle Werte und Normen, die existieren, werden diskutiert. Wichtige, weitgreifende und fast alle politischen Entscheidungen werden überwiegend in Bezug auf den materiellen Wohlstand hin getroffen und nicht mehr unbedingt aus moralischen oder ethischen Gründen.
Vielleicht können wir, wenn wir unseren Blick auf uns selber richten, auf unser natürliches Bestehen wieder klarer erkennen, was unsere Grundbedürfnisse sind, was wir, die menschliche Spezies wirklich braucht. Forschung und technischer Fortschritt haben unser Leben bereichert und unseren Lebenskomfort um einiges erhöht. Bei all dem, dürfen wir jedoch den Kontakt zu unseren Grundbedürfnissen nicht verlieren. Mitmenschlichkeit und Empathie sollten über jedem Materialismus und Kapitalismus stehen.