Bewegung

2008

PHILOSOPHY

Der Ausgangspunkt meiner künstlerischen Arbeit zum Thema Bewegung war mein Wunsch, die Lebendigkeit des Menschen verstärkt bildnerisch darzustellen. In meinen vorhergegangenen Arbeiten kamen mir die von mir abgebildeten Figuren und Menschen oft statisch, leblos, wie eingefroren und tot vor. Die Bewegung eines Menschen ist für mich der unmittelbare Ausdruck seiner Lebendigkeit. Die Darstellung von Bewegung in meiner künstlerischen Arbeit, wurde für mich in jener Arbeitsphase zur anschaulichsten Metapher für das Lebendig-Sein des Menschen. Ich studierte die Arbeit von Künstlern, die sich ebenfalls mit der Abbildung von Bewegung beschäftigt haben, wie Marcel Duchamp, der in seinem Werk “Nu descendant un escalier” (1912) die neusten Erkenntnisse der Chronofotografie mit dem Kubismus zusammen fließen lässt und damit ein Werk schuf, dass heute als eines der Schlüsselbilder der klassischen Moderne gilt. Ich stoß selbstverständlich auch auf Francis Bacon, der in der Abbildung von Bewegung nicht nur einen Weg fand Lebendigkeit darzustellen, sondern auch Empfindungen zum Ausdruck zu bringen. Mich interessierte an der Abbildung von Bewegung in einem statischen Medium insbesondere die Auflösung des menschlichen Körpers aus seiner gewohnten Struktur. Es findet eine Fragmentierung einzelner, prägnanter Körperstellen des Menschen in der Darstellung von Bewegung statt. Je nach Farbigkeit, Helligkeit und Dunkelheit wird der Körper zu neuen Bausteinen zusammen gesetzt. Die einzelnen Elemente werden wiederholt über- und nebeneinander gelegt dargestellt. Sie erhalten eine neue Eigendynamik und ziehen sich wie eine Spur durch den Bildträger, bilden neue Linien und Farbfelder.
Dabei wird die Einzigartigkeit dem abgebildeten Individuum genommen, wie auch seine Schönheit und Hässlichkeit. In der Abbildung von Bewegungsabläufen bekommt der Mensch eine ganz neue Erscheinungsform. Erst in der statischen Darstellung fügen sich die Elemente, aus denen sich der Mensch zusammensetzt, wieder zu einem individuellen Körper und Gestus zusammen. In der statischen Darstellung von Bewegungsprozessen weicht das individuelle Aussehen eines Körpers. Träger von Merkmalen wie Oberflächenstruktur, Farbigkeit, Licht und Schatten rücken in den Vordergrund. Die Bausteine unserer menschlichen Hülle, wie zum Beispiel Nase, Augen, Ohren, Mund werden prägnant. Individualität kennzeichnet sich nicht mehr durch ein einzigartiges Aussehen, sondern durch die individuelle Form und Art der Bewegung, dadurch, welche Spuren die Bewegung hinterlässt, welchen Weg sie genommen hat.
Ich habe oft in meinen Bildern einen kleinen Ausschnitt eines sich bewegenden Gesichtes gewählt. Ich fand die Art der Darstellung so reizvoll, weil eine Orientierung des Betrachters im Raum, in dem sich die Figur bewegt, dadurch nicht möglich ist. Der Betrachter verfolgt mit seinem Blick immer wieder die Bewegungsabläufe des abgebildeten Menschen, auf der Suche nach einem Fixpunkt, der ihm hilft, das Gesehene einzuordnen. Dabei konstruiert er selbst ein Vor- und Nachhinein der Bewegung, sowie die nicht dargestellten Bewegungsabläufe. Das Bild gilt es in seiner Raum-zeitlichen Abfolge selbst zu erforschen. Hinzu kommt die Frage auf, was und wer sich auf dem Bildträger bewegt. Die vielen Augen, Nasen und Münder setzen sich in der Bewegung zusammen zu einer neuen Gestalt. Die mehrfache Darstellung von Körperpartien hat etwas Unheimliches, Fremdes, manchmal sogar Monster-artiges in sich. Die vielen Augen verfolgen den Betrachter, der rote Mund zieht sich über den Bildträger wie eine Blutspur, die Nase rankt aus der Stirn, im Kinn ist wieder eine Auge zu finden. Dabei stellt sich dem Betrachter nicht nur die Frage, ob ein Monster oder ein Mensch sich auf dem Papier bewegt. Vielleicht ist man es auch selbst als Betrachter des Bildes, der selbst eine verzerrte Wahrnehmung hat. Thomas Zipp sprach öfters bei der Betrachtung meiner Arbeiten davon, dass es ihm bei der Betrachtung so vorkommt, als sei man im Drogenrausch. Raum und Zeit können nicht mehr sinnvoll verarbeitet werden, dass Bild vor den Augen verschwimmt und hinterlässt wankende Spuren.
Letztendlich ist es dem Betrachter selbst überlassen, wie er das Bild betrachtet und was er dort für sich erkennt. Für mich führt die plastische Metamorphose der Figuren zu einer Orientierungslosigkeit, die reine Bewegung evoziert und Gesichter bis zur Entstellung deformiert. Ich habe mich dem Thema Bewegung auf vielerlei Weise künstlerisch genähert und mit den verschiedenen Materialien und ihrer Wirkung experimentiert. Durch eine gestische Malerei, kräftige, schwungvolle Striche und schnelle Zeichnungen mit Tusche und Kohle, will ich die Dynamik der Bewegung zum Ausdruck bringen. Inhaltlich arbeitete ich mit dem spannenden Moment, der beschreibt, ab wann die Darstellung eines Menschen in Bewegung transformiert wird, in eine unheimliche Gestalt, die Angst einflößt, die sich bewegt, sich windet, aus dem Bildträger ausbrechen will. Für mich wirkt es so, als würden jene Gestalten etwas Verborgenes in sich tragen, was zum Ausdruck kommen will, jedoch daran gehindert wird, wie ein stummer Schrei. Vielleicht evoziert meine Arbeit auch etwas Unheimliches, da die Darstellung von Bewegung nicht nur das Lebendig-Sein veranschaulicht, sondern gleichzeitig auch auf die Vergänglichkeit der Bewegung hinweist, den Tod.